“If I don’t meet you again in this world, I’ll see you in the next one. And don’t be late.”
— Jimi Hendrix, Voodoo Child (Slight Return)

Ein Ehemaliger der Gerhart-Hauptmann-Realschule und ein guter Schulfreund verstarb am 12.05.2025 in Marl. Was mit ihm ging und was bleibt:

Dirk Ruschitzka war nicht einfach nur ein Schulfreund. Wir haben uns über Facebook vor mehr als zehn Jahren wiedergefunden und oft über die gemeinsame Zeit ausgetauscht, erinnert, gelästert, gelacht. Wir haben regelmäßig geschrieben, diskutiert, uns an früher erinnert – und vor allem: Musik geteilt. Denn das war Dirks große Leidenschaft.

Als ich vor einigen Jahren im Podcast Music Talks von Terry Smith zu Gast war, hat er diesen mit echter Begeisterung verfolgt. Die Gäste wählen aus jedem Jahrzehnt ihres Lebens ein Lied aus und erzählen Terry, wie sie ihre Auswahl getroffen haben und warum ihnen diese Lieder so viel bedeuten – eine sehr persönliche Musikgeschichte.

„Hab die Stunde sehr genossen …“
— Dirk Ruschitzka

Als wir dann der von Katja Neumann initiierten Facebook-Gruppe beitraten und ich anfing, die ehemaligen Webseiten nicht nur zu restaurieren, sondern auch Geschichten der Ehemaligen zusammenzutragen, kamen auch bei Dirk viele Erinnerungen hoch.

Nachdem der Blog zu Wilhelm Zimolong online ging, schrieb mir Dirk:

„Lieber Egbert, obwohl – wie du ja vielleicht weißt – ich nicht sehr glücklich an dieser Schule war (zu viele Arschlöcher, angefangen mit Herrn Hesse, dem Herrenmenschen), hat deine Geschichte einige Erinnerungen an andere Ereignisse wachgerufen, die mich mehr geprägt haben, als es mir als Kind bewusst war. Ich erinnere den Tag, als Hendrix gestorben war (kannte ich natürlich nicht), und die Großen auch unter massiven Drohungen der Lehrerschaft nicht bereit waren, sich von ihrer improvisierten Trauerfeier zu erheben, um wieder in die Klassen zu gehen. Falls du mal gelegentlich am Grab von Jimi vorbeigehst, stell mal für mich eine Kerze auf.“

Ich antwortete:

„Hi Dirk, wäre es ok, wenn ich dir einen Entwurf re: Jimi Hendrix schreibe und schicke?“

„Hallo Egbert, schön, wenn du die Erinnerung an das Sit-In aufgreifen willst. Vielleicht mache ich noch eine andere Geschichte draus – aus der Reihe: Wie der kleine Dirk an den Rock’n’Roll kam. Da hat ja wirklich jeder eine ganz persönliche Beziehung zu seiner großen Liebe.“

Und dann kam der Blog 👉 Club 27 - Der Tag, an dem Jimi Hendrix starb Es verschmolzen darin unsere beiden Erinnerungen.

Zum zweiten Blog, den Dirk im Kopf hatte, kam es nicht mehr – ich werde versuchen, ihm hier gerecht zu werden. Diesen Beitrag hat er nicht mehr schreiben können. Aber in seinen Kommentaren, Nachrichten und geteilten Erinnerungen steckt genug, um ihn zumindest ansatzweise so zu erzählen, wie er es vielleicht getan hätte:

„Wie der kleine Dirk zur Musik kam“


Mit Dirk war ich in der 5. bis 7. Klasse (und mit Kalle Mast, Andreas Stoll, Andreas Kieslich, Joachim Klein). Als ich in der 9. die “Ehrenrunde” drehen durfte (zusammen mit Willi Schmitz), haben wir uns alle wiedergetroffen und machten dann 1975 nach weiteren zwei Jahren zusammen den Abschluss.

Kurz zur Historie: Dirk und ich hatten in etwa den gleichen Schulweg mit dem Fahrrad und fuhren manchmal auch gemeinsam nach der Schule nach Hause. Ich fuhr dann mit ihm – und nicht meinen bevorzugten Weg durch die Zechenunterführung und an der Zeche vorbei. So kamen wir irgendwann bei Radio Hölting an und drückten uns – bevor Dirk ins Haus ging – die Nase an der Scheibe platt. Der Standardpreis einer LP lag damals bei 24 DM.

Unsere Klassenlehrerin in der 9ten und 10ten Klasse – Frau Dicköfer – kam irgendwann auf die Idee, im Englischunterricht einige Lieder zu singen. Man wusste, ich spielte Gitarre. Nach einigem Hin und Her und der Erklärung, was eine E-Gitarre ist („da hinten kannst du doch die Steckdose nehmen“), brachte ich meine Ibanez-Akustikgitarre mit.

Das Ganze war ziemlich katastrophal, aber in der Pause fragte mich Dirk, ob ich mal etwas anderes spielen könnte. Und so griff ich in die Saiten und spielte Here Comes the Sun und einiges von Deep Purple (Child in Time, Smoke on the Water …).

Dirk kam irgendwann zusammen mit Andreas Stoll zu mir nach Hause, und ich drückte ihm meine Ibanez in die Hand, zeigte ihm einige Akkorde. Die E-Solo-Gitarre fand er faszinierender und probierte sie auch. War etwas zu nah an den Boxen – es gab eine tolle Rückkopplung.

Ich kann mich nicht erinnern, wie oft er noch bei mir übte, aber es hat ihn offenbar nicht mehr losgelassen – und hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet.

Als wir mit unserer Jugendband – Pit Kuhlmann aus der 10b (Bass), Andreas Hofmann (Lead-Gitarre), ich an der Solo-Gitarre, Name des Schlagzeugers vergessen – im Tonstudio des Jugendheims in Holsterhausen zu Probeaufnahmen waren, war Dirk zusammen mit Andreas Stoll da, um zuzuhören.


Zwischen Blauer Bock und Beatclub

Ungefähr zwei oder drei Jahre nach dem Sit-In in Gedenken an Hendrix begann Dirk, sich intensiv für Musik zu interessieren. Denn wenn zwischen dem Blauen Bock und der Sportschau der Beatclub mit Uschi Nerke kam, wurde Omas Fernseher abgeschaltet – wegen „Negermusik“ und langhaariger Unruhestifter, „die erst mal arbeiten gehen sollten“.

Aber irgendwie kam Dirk dann doch über das Radio an die „Popmusik“, wie sie damals hieß. Die ersten Songs, die ihn ansprachen, waren I Hear You Knocking (Dave Edmunds) und Maggie May (Rod Stewart). Zusammen mit Andreas Stoll wurde dann weiter geforscht. Als er einen Plattenspieler hatte, ging alles Taschengeld für Platten drauf. Nur einmal kaufte er sich eine Single: Whiskey in the Jar von Thin Lizzy – danach mussten es LPs sein.

Seine zweite LP nach Billion Dollar Babies von Alice Cooper war dann schon Electric Ladyland von Jimi Hendrix – ein Album, das ihm nach eigenem Bekunden neue Welten eröffnete.

Ein weiteres Album kaufte er sich bei Radio Hölting: More, die Filmmusik von Pink Floyd.

Musik war keine Selbstverständlichkeit. Sie musste erobert werden.

„Ein Album, das mir Welten eröffnete, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren.“

Nach dem ersten Durchhören von Electric Ladyland verstand er -so erzählte er mir-, warum die älteren Mitschüler damals so traurig waren – und sich nicht bewegen ließen, einfach weiterzumachen, als wäre nichts geschehen.
So war das mit dem kleinen Dirk und seiner großen Liebe zur Musik.


Formentera

Zurück zu More. Reden wir in diesem Zusammenhang über Formentera, eine kleine Insel, auf der ich selbst Freunde fand und die ich von 1980 bis Mitte der 90er Jahre mindestens einmal pro Jahr besuchte.

Die Insel hat eine großartige Musikgeschichte – u. a. mit Pink Floyd. Deren Verbindung begann 1967, als Roger Waters und Syd Barrett die Insel besuchten. Auf dem Cover von Soundtrack from the Film More (1969) ist eine Windmühle aus Formentera zu sehen. Das kannten weder Dirk noch ich damals.

Das Video zu Chris Reas On the Beach wurde auf Formentera gedreht. Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour ließ später seine Leidenschaft für die Insel im Soloalbum On an Island wieder aufleben.

Ich war sehr oft an besagter Windmühle. Wer hätte gedacht, dass dies noch einmal in unseren Erinnerungen auftaucht.


Freundschaften, Fahrten, Freiheit

Dirk, Andreas und ich hatten gemeinsame Freunde: Hans-Peter Kaufmann und Franz Josef Kiekenbeck. HP war ein Musikbegeisteter – bei ihm in Schermbeck hörten wir zusammen mit Dirk zum ersten Mal Dark Side of the Moon.

Ich erinnere mich an einen Besuch im Freibad Dorsten (gibt es leider nicht mehr). Ich traf zufällig auf Hans-Peter, Franz-Josef und Dirk – das war 1976 oder 1977, Dirk hatte deutlich längere Haare. Die drei besprachen eine geplante Reise nach Frankreich und boten mir an, mitzukommen. Mein eigenes Leben stand aber gerade Kopf – ich lehnte ab.

Die drei trampten dann nach Südfrankreich und rauchten dort viele „lustige Zigaretten“. Dirk sagte, er habe sich „noch nie so frei gefühlt wie dort“.

Leider hat Dirk von beiden seit fast 50 Jahren nichts mehr gehört.
Falls ihr das lest – meldet euch.

Dirk war neugierig, experimentierfreudig und humorvoll:

„Ich rauch nicht mehr. Aber ich hab mal Bier gebraut – und Hopfen ist ja auch ein Hanfgewächs…“


Was bleibt

Dirks Geschichte ist eine von vielen. Und doch war sie einzigartig. Sie steht für eine Generation, die zwischen Obrigkeitsdenken und Aufbruch aufwuchs. Für den Mut, Fragen zu stellen. Für die Kraft der Musik, etwas in uns zu wecken, das größer ist als wir selbst.

Er wollte diesen zweiten Text noch schreiben.
Und so schließe ich mit seinen eigenen Worten:

„So war das mit dem kleinen Dirk und seiner großen Liebe zur Musik. Noch mal schöne Grüße an den Meister.“

Ich schließe mit etwas, das ich auch im Podcast zitierte – zum Song The End von The Doors, den Dirk in dieser Tiefe wohl auch noch nicht kannte, der aber gut zu diesem Blog passt, denke ich:

“It’s strange that they fear death. Life hurts a lot more than death. At the point of death, the pain is over. Yeah – I guess it is a friend.”
Jim Morrison

🎧
Egbert H. Schroeer – für den Schulfreund, der da war. Und nun fehlt.

Gedenkseite

Written by

Egbert Schroeer

I'm a retired Microsoft Executive, Amateur Genealogist and Photographer, Amateur Chess Player, Mentor, Book Author, and proud alum of GHS graduating class of 1975. I am deeply invested in preserving the rich legacy of our beloved school.