Video Egbert Schröer; Fotos Norbert Bogatzki und Ruhr-Nachrichten
Am 5. Oktober hielt ich ein letztes Mal an der Gerhart Hauptmann Realschule, einem Ort, der Generationen geprägt hat. Ihre Turnhalle, einst der Stolz des Ruhrgebiets, war weit mehr als nur eine Sportstätte. Als sie 1969 eingeweiht wurde, galt sie als die modernste ihrer Art und war ein Symbol für Innovation und Fortschritt. Besonders beeindruckend war die multifunktionale Bauweise: Eine herablassbare Trennwand ermöglichte es, die große Halle in zwei separate Bereiche zu unterteilen, sodass parallel unterschiedliche Sportarten oder Klassen stattfinden konnten – ein Novum in der Region.
Neben der Multifunktionalität beeindruckte die Turnhalle auch mit ihrer Ausstattung. Moderne Umkleideräume und Duschen standen zur Verfügung, was in dieser Zeit keineswegs selbstverständlich war. Besonders vor dem Hintergrund, dass fließendes heißes Wasser in vielen Haushalten der Region noch gar nicht vorhanden war, war dies eine luxuriöse Ausstattung, die die neue Turnhalle von anderen deutlich abhob. Sie bot den Schülern eine Umgebung, in der Sport auf einem hohen Niveau ausgeübt werden konnte.
Auch die Geräte waren auf dem neuesten Stand: Die Reckstangen konnten nach dem Training in den Boden versenkt werden, und die Ringe ließen sich bequem unter die Decke ziehen. Dadurch verwandelte sich die Halle schnell in einen leeren, vielseitig nutzbaren Raum für weitere Aktivitäten – etwas, das damals in den wenigsten Schulen möglich war.
Vor der Fertigstellung dieser hochmodernen Turnhalle fand der Sportunterricht oft improvisiert auf dem Pausenhof oder im nahegelegenen Freibad statt. Die Sommerspiele wurden auf dem Waldsportplatz in Holsterhausen ausgetragen. Die Bedingungen waren schwierig, doch die Schüler machten das Beste daraus. Umso größer war die Freude, als der Tag der Einweihung kam. Direktor Max Kuon und Sportlehrer Hans Effing feierten diesen Meilenstein gebührend mit geladenen Gästen, und wir Schüler durften stolz dabei sein. Ein Höhepunkt des Tages war das Erscheinen des Olympiakaders, zu dem auch Hans Effing’s Sohn Bernd Effing sowie Eberhard Ginger gehörten. Zusammen mit zwei weiteren Turnern wurde die Einweihung zu einem überregionalen Ereignis, das den sportlichen Erfolg der Schule in den Vordergrund rückte.
Die Turnhalle wurde schnell zur Bühne für sportliche Erfolge. Hans Effing, der 1960 als Sportlehrer an die neu gegründete Städtische Realschule für Jungen (später Gerhart-Hauptmann-Schule) berufen wurde, prägte mit seiner Leidenschaft und seinem Engagement Generationen junger Turner. Dank seiner Förderung stiegen viele junge Talente aus Dorsten zu nationalen Größen auf. Unter ihnen war auch sein Sohn Bernd Effing, der für Deutschland turnte und als „blonder Modellathlet“ aus der Lippestadt bald eine Art Popstar wurde. Sein Ruhm reichte weit über die Schulmauern hinaus, doch für uns war er einfach „unser Bernd“.
Der damalige Rektor Max Kuon unterstützte den Sport und vor allem Bernd Effing, wo er konnte. Es wurden moderne Geräte angeschafft, und Hans Effing spezialisierte sich auf Disziplinen wie Ringe, Seitpferd, Reck und Bodenturnen. Für uns Schüler war es immer etwas Besonderes, wenn Bernd Effing nach dem Unterricht in der Turnhalle trainierte. Die Halle war dann stets voll besetzt, denn jeder wollte den Ausnahmeathleten live sehen. Rainer Risthaus, ein Mitschüler, der in der Schulriege turnte, erinnert sich: „Bernd Effing war ein Athlet wie aus dem Bilderbuch. Seine Kunst beim Turnen war beeindruckend.“
Als 1969 die Großturnhalle eingeweiht wurde, war Bernd Effing bereits eine feste Größe in der Kunstturn-Szene. Bei der Eröffnung traten auch andere Größen des Turnens wie Günter Spies und Eberhard Gienger auf, die die Halle zu einem Schauplatz für einen Qualifikationswettbewerb machten. Alle waren an den innovativen Trainingsmethoden von Hans Effing interessiert, der als einer der besten Trainer galt.
Für die Schüler der Gerhart-Hauptmann-Schule hieß Bernd Effing einfach „Unser Bernd“. Wenn er sonntags in der Sportschau zu sehen war, war das für uns Schüler, die montags bei seinem Vater Hans Unterricht hatten, etwas ganz Besonderes. Damals gab es noch keine Videoaufzeichnungen, also stellte Hans Effing die Übungen seines Sohnes live im Sportunterricht nach – und auch mit Mitte Fünfzig war er noch topfit.
Die Turnhalle war ein Ort, an dem Schüler Disziplin, Teamarbeit und Ausdauer lernten. Über viele Jahre hinweg war sie das Zentrum des sportlichen Lebens der Schule, Austragungsort unzähliger Wettkämpfe und Zeugin unvergesslicher sportlicher Erfolge.
Doch der Zahn der Zeit hat auch vor diesem Gebäude nicht haltgemacht. Als ich am 5. Oktober dort stand, die Kamera in der Hand, spürte ich die Schwere der Geschichte – und des Verlustes. Der bevorstehende Abriss markiert das Ende einer Ära. Mit dem Verschwinden der Turnhalle geht auch ein Stück Geschichte unwiederbringlich verloren. Aber die Erinnerungen bleiben. Die letzten Fotos, die ich gemacht habe, sollen als Tribut an einen Ort dienen, der weit mehr war als bloß Ziegel und Mörtel.
Hier noch der Blog zu den ersten Bundesjugendsjugendspielen auf dem eigenen Sportplatz.